Müssen Videospiele kulturrelevant sein?
Im Gespräch mit einem bekannten Sammler über den Gamescom-Congress 2018 ist selbiger über eine Aussage, die dort gefallen ist, gestolpert.
Es wurde erwähnt, dass Videospielentwickler nicht verstehen, was ein Kulturgut ist.
Auch wenn dies in bestimmten Fällen und bei bestimmten Entwicklern zutreffen mag, ist dem Gesprächspartner diese Pauschalisierung bitter aufgestoßen.
Die Aussage des Congressteilnehmers bezog sich darauf, dass die großen Videospielentwickler lediglich auf Profit aus seien und nicht wie beispielsweise die Kunst, Musik oder Literatur sich AUCH (nicht ausschließlich) mit dem Vermitteln von Werten, der historisch korrekten Darstellung und weiteren, kulturrelevanten Thematiken, auseinandersetzen.
Es sollte auffallen, dass diese Ansicht auf die Videospielentwicklung relativ einseitig ist. Wie auch in anderen Kulturbereichen müssen Videospiele nicht ausschließlich auf Kulturrelevanz achten. Das hierfür passende Stichwort ist Kunstfreiheit.
Videospiele sind in erster Linie ein Medium, welches dem Konsumenten Spaß bereiten soll. Es ist schwierig mit diesem Medium ohne den Spaßfaktor zu unterhalten, da der Konsument, im Gegensatz zum Film oder der Musik, ähnlich aktiv an der Weiterführung des Mediums beteiligt ist wie bei der Literatur.
Wären von „nicht genug Entwicklern“ die Rede gewesen, dann hätte man dieser Meinung durchaus zustimmen können. Der Anteil an Spielen, die kritisch mit Historik oder der Gesellschaft umgehen, ist gering. Noch geringer ist dabei der Anteil an kritischen Spielen, die dem Spieler auch Spaß bereiten.
Nun pauschal alle Entwickler zu verdammen, ist für eine kritische Diskussion kontraproduktiv. Spaß und kritische Wertevermittlung schließen sich in Videospielen nicht pauschal aus. In Telltales “The Walking Dead”-Serie ist der Spieler stets vor moralische Dilemmata gestellt. Und niemand kann bestreiten, dass die Videospielserie Spaß bereitet.
Man darf in diesem Zusammenhang auch das Alter der Videospiele nicht außen vor lassen. Filme beispielsweise sind bereits über 120 Jahre alt. Videospiele hingegen sind erst ca. 70 Jahre alt. Im Gegensatz zum Film hat sich bei Videospielen nunmal noch keine Mentalität entwickelt, die sich damit zufrieden gibt, nur Unterhalten zu werden. Spaß ist bei Dokumentationen beispielsweise kein Faktor, der Informationsgehalt und die Unterhaltung durch schöne Videoaufnahmen stehen hierbei im Fokus.
Auch spielt der Faktor Geld bei Videospielen eine immense Rolle. Es gibt noch nicht viele Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb der großen Herausgeber, die dann verständlicherweise auf die Refinanzierung durch das Produkt achten und nur wenig bis keinen Spielraum für Experimente zulassen. Geldtöpfe, wie sie zuhauf für beispielsweise Filmproduktionen zu finden sind, um ein kulturell wertvolles Spiel zu finanzieren, sind nur karg gesät.
Kulturell wertvolle Spiele sind spielerisch meist einfach nicht so spaßig wie Spiele, die sich auf Spielspaß konzentrieren. Somit wird der Umsatz voraussichtlich bei kulturell wertvollen Spielen geringer sein, eine Refinanzierung durch das Produkt wird demnach schwierig und spekulativ.
Nichts desto trotz gibt es viele (von Herausgebern unabhängige) Entwickler, die sich gerade die Kulturrelevanz mittlerweile zum Auftrag genommen haben. Spiele wie Papers Please! oder das bald erscheinende Through the Darkest of Times haben sich Gesellschafts- und Geschichtskritik auf die Fahne geschrieben.
Videospiele müssen nicht, dürfen aber Kulturrelevant sein.
Es ist demnach richtig und wichtig, sich kritisch zu allen Aspekten der Videospielkultur zu äußern. Nur so kann eine Diskussion entstehen, die zur Besserung der Situation und Weiterentwicklung führen kann.
Es ist jedoch falsch sich dabei rein auf Polemik zu stützen, die im Rahmen von Videospielkultur nicht notwendig ist.
Tagungsband Clash of Realities 2015/16
Pressematerialien von Telltale
Pressematerialien von Paintbucket Games